Mentale Zielfotos
Leistungspsychologe mit Weltrang


Joseph W. Hillebrand
über Sportpsychologie und ihre Erkenntnisse für Wirtschaft.

Wie können Führungskräfte ihren Aufstieg vorbereiten?
Für Sportler ist es normal, sich      durch Training systematisch auf den Wettkampf vorzubereiten. Genauso können sich Führungskräfte an Ernstsituationen wie zum Beispiel eine neue Führungsaufgabe herantasten. Durch gezielte Vorbereitung wird die Ernstsituation nicht zum Test, sondern der Spitzenleister geht mit gutem Gefühl und einem Höchstmaß an Zuversicht in die Situation.

Wie lässt sich dem Erfolg auf die Sprünge helfen?
Der Prozess Lernen, Üben, Trainieren und Anwenden in der Praxis ist im Hochleistungssport nicht weniger kompliziert als in der Wirtschaft. Für den Erfolg muss ein Mensch verschiedenste Kompetenzen und Ressourcen aktivieren. Hier lässt sich mit Hilfe von Trainern und Coachs viel verbessern.

Was wäre eine griffige Parallele aus der Wirtschaft?
Wenn jemand bei Vertragsabschlüssen gerne in Stress, Ungeduld und damit in Gefahr gerät seine Aufmerksamkeit zu verlieren, bestimmte Punkte im Gespräch zu übersehen oder sein Gegenüber nicht mehr richtig einzuschätzen, dann sollte er sich in Hinsicht beraten lassen. Und zwar so wohl in der Perfektionierung von Techniken als auch in der Entwicklung des Selbstbewusstseins.

Wie hängt das zusammen?
Wenn ich glaube, dass ich die richtigen Techniken beherrsche, mir aber nicht sicher bin ob ich sie, wenn es darauf ankommt, auch anwenden kann, werde ich nie erreichen zu was ich eigentlich fähig bin. Im Sport sind das die ewigen Trainingsweltmeister - Versager auf höchstem Niveau.

Welche Rolle spielt Mentaltraining, wenn man sich auf erwünschte Erfolge vorbereitet?
Aus meiner Sicht die Entscheidende. Wenn ich mir nicht richtig vorstellen kann, welches Ziel ich erreichen will, kann ich es nicht ansteuern. Je präziser meine Vorstellungen sind und je genauer ich weiß, was ich will, desto eher bin ich dazu in der Lage mir Gedanken darüber zu machen, wie ich den gewünschten Zustand erreichen kann. Das ist das mentale Zielfoto. Mit jedem Gedanken über meine Ziele und Vorhaben setze ich mich auch mit den Alternativen und dem Spektrum an Vorbereitungen auseinander.

Wie kommt man zur Spitzenleistung?
Hochleistung bringt zwar eine einzelne Person, doch gleichzeitig hat der Erfolg viele Väter. Schauen Sie, wer beider Fußballbundesliga auf der Bank sitzt: der Physiotherapeut, ein Traumatologe, ein Internist, der Manager, ein Konditionstrainer. Jede Führungskraft in Unternehmen hat ebenso Kollegen, Mitarbeiter und Berater, die den Erfolg unterstützen. Manager sollten sich bewusst sein, dass sie als Alleinunterhalter nie wirklich Leistung bringen können.

Wie bleibt die persönliche Leistungsfähigkeit konstant?
Zum einen indem man sie ständig steigert, um Abbauprozesse zu kompensieren. Zum anderen wird die Leistungsfähigkeit von Spitzenleistern auf höchstem Niveau ständig umstrukturiert. Denn keine Leistungssituation gleicht der anderen. Von einer Situation zur anderen ändern sich der emotionale Zustand, die Umwelt und die Aufgabenstellung. In ständiger Anpassung müssen die Erfolgsfaktoren neu geordnet werden.

Können Menschen überhaupt pausenlos Höchstleistung bringen?
Leistung braucht Erholung - und umgekehrt. Wer aber andauernd im Erholungszustand verharrt, verkümmert durch Nichtstun. Unterscheiden sollten wir deshalb kurzfristige, mittelfristige und ausgiebige langfristige Erholungszeiten. Beim Tennisspiel ist jeder Seitenwechsel eine potentielle Erholungszeit. Wer in dieser Zeit darüber grübelt, was er gerade verpasst hat, was er gerade nicht geschafft hat und sich Gedanken da rüber macht, wie er das wieder ausgleichen kann, verschwendet diese wertvolle Erholungszeit.
Für Besprechungen und Verhandlungen von Führungskräften gilt das in ähnlicher Weise. Wenn kurzfristige Erholungszeiten vergessen werden, holen sie sich Körper und Geist von selbst. Das könnte dann aber unter Umständen zu ungünstigen Zeitpunkten der Fall sein.

Wie steigen Hochleister aus?
Am besten harmonisch und ohne abrupten Abriss. Nehmen wir Boris Becker als Beispiel. Er hört nicht von heute auf morgen als Athlet auf, was sowohl aus körperlichen Gründen heraus vernünftig ist als auch aus psychischen und sozialen Gründen. Er baut sich parallel neue Betätigungsfelder auf. Denn wer seine Lebensumstände von heute auf morgen abrupt verändert, der verändert sich selbst unter Umständen ungewollt. Oder sein Verhältnis zur Umwelt passt nicht zu seinem Verhalten und umgekehrt.

Wie steht es bei Sportlern mit dem Gefühl, der Größte zu sein?
Bei den Topathleten ist heute ein Bewusstsein verbreitet, dass sowohl körperliche und technisch-taktische Fitness wichtig ist wie auch die richtige psychische Einstellung und - ganz wichtig - soziale Fähigkeiten. An diesem Bewusstsein mangelt es Führungskräften der Wirtschaft oft. Man kann gelegentlich den Eindruck bekommen, mit dem Allergrößten zu sprechen. Er meint dann alles zu können und fühlt sich sofort in seinem Selbstwertgefühl getroffen, wenn er von einem Bereich nichts versteht. Solche Zeitgenossen haben eben kein Bewusstsein dafür, dass nobody perfect ist.